Mitten in der Corona-Krise beschäftigt sich unser Stadtrat mit dem Prunkbau am Mainzer Tor?
Für Mittwoch den 22.04.2020 ist eine Sitzung des Stadtrates einberufen. Ursprünglich war diese am 15.04.2020 geplant. Die Tagesordnung ist unverändert, insoweit ist der Grund für die Verschiebung unklar.
Über den Sinn oder besser Unsinn der Tagesordnung habe ich bereits berichtet - Ignoriert Miltenberg Empfehlungen des Innenministeriums?
Das Innenministerium schreibt übrigens auf meine Anfrage, ob diese Tagesordnung nach seinen Vorgaben zulässig ist:
- Die Umsetzung der Empfehlungen erfolgt durch die zuständigen Stellen vor Ort
- Die Überprüfung ist Aufgabe des Landratsamtes
Die Tagesordnung stammt aus einer Zeit, als "normale" Bürger mit Strafandrohung von einer Parkbank vertrieben wurden. Neuerdings dürfen wir mit einer Person in der Öffentlichkeit spazieren gehen, die nicht im eigenen Haushalt wohnt. Warum also nicht auch mit über 20 Personen stundenlang tagen, und dazu auch noch die Öffentlichkeit einladen?
Auf eine Anfrage an das Gesundheitsamt bezüglich Corona, Hygiene und Schutz der Menschen im Zusammenhang mit der Stadtratssitzung schreibt übrigens das Landratsamt: Ich soll mich an die Stadt wenden, wir sind nicht zuständig. "Die Art und Weise der Durchführung von Stadtratssitzungen liegt unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben im Verantwortungsbereich der Stadt, und wird von dieser organisiert und umgesetzt." Kontroll- und Aufsichtsfunktion?
Die geladenen Stadträte können auf den Umfang der Tagesordnung noch Einfluss nehmen. Ein Geschäftsordnungsantrag zu Beginn der Sitzung, einen oder mehrere Punkte von der Tagesordnung zu streichen, würde eine Abstimmung erzwingen, und könnte die Sitzung zumindest verkürzen.
Bürgermeister und Räte stellen sich ihrer Verantwortung?
Über Corona wird nicht beraten, aber auf der Tagesordnung steht: "Bau eines Museumsdepots mit Stadtarchiv und Jugendzentrum; Abschlussinformation"
Das finde ich mutig. Zur Erinnerung. Am Beginn standen 3,8 Millionen Euro im Raum, daraus wurden dann sagenhafte 9,5 Millionen Euro. Anstelle von einer wurden fünf Millionen Euro Eigenanteil für die Stadt fällig, Bericht dazu siehe hier.
In diesem Projekt ist damit ein großer Teil der Finanzkraft unserer Stadt verschwunden. Helmut Demel und unser Stadtrat haben entschieden, das ist wichtiger als Schulsanierung und Feuerwehrhaus? Unter diesem Gesichtspunkt finde ich es gut, dass die Veranwortlichen dies der Öffentlichkeit am Ende ihrer Amtsperiode nochmals in aller Deutlichkeit präsentieren wollen und Verantwortung dafür übernehmen.
Schon vor der Corona-Krise wurde eine stark steigende Verschuldung angekündigt. Nun stehen wir mit leeren Taschen da. Das Museumsdepot wird uns nicht viel helfen, fünf Millionen Euro in der Stadtkasse könnten aber hilfreich sein, nur die sind weg?
Zum Ende einer Amtszeit wollen Politiker ja mit Erfolgen glänzen. Unter diesem Gesichtspunkt wird der Bericht von Helmut Demel zu diesem Projekt sehr spannend.
Was passiert, wenn ein Vereinsvorstand diese Woche eine Vorstandsitzung abhält, um
sich ein Konzept über die Neugestaltung des Vereinsgeländes präsentieren zu lassen? Wahrscheinlich würde Polizei oder Ordnungsamt anrücken, die Versammlung auflösen, und alle nach Hause schicken. Strafe folgt per Bescheid.
Wäre dieser Vorstand dann noch so blauäugig, dies in der Zeitung anzukündigen, würde die Versammlung wohl schon vorab unter Androhung von Strafe unterbunden.
Unser Stadtrat tagt über den wichtigen, unverzichtbaren und unaufschiebbaren Punkt: Mainanlagen unterhalb des Schwarzviertel, Vorstellung des Konzepts Flussforum.
Inhaltlich kann ich da jetzt keinen Unterschied feststellen, aber diese Versammlung scheint möglich zu sein. Weder Polizei noch Ordnungsamt wird wohl einschreiten? Ähnliche Vorgänge, unterschiedliche Regeln?
Was passiert, wenn ein Geschäftsführer heute seinen Aufsichtrat zusammen ruft, um
ein Konzept für die Neugestaltung des Firmengeländes vorzustellen, weil ihm der aktuelle Zustand nicht mehr so recht gefällt? Und das im Angesichts einer Krise wo unklar ist, ob morgen noch Geld für Löhne da ist. Die Krise und ihre Auswirkungen auf das Unternehmen fehlen auf der Tagesordnung. Anstatt dieser Einladung zu folgen, wird der Aufsichtsrat wohl in einer kurzfristig anberaumten Telefonkonferenz den Geschäftsführer entlassen.
Das Beispiel ist natürlich rein fiktiv, denn welcher Geschäftsführer käme auf so eine absurde Idee? Wo ist aber der Unterschied zwischen der Gestaltung des
Flussufers (Thema der anstehenden Stadtratssitzung) und eines Firmengeländes? Muss ich noch drüber nachdenken.
Übrigens hat unser Stadtrat eine vergleichbare Funktion wie ein Aufsichtsrat. Er überwacht und kontrolliert die Verwaltung (Geschäftsführung) als Vertretung der Bürger (Eigentümer), und ist für alle wichtigen Entscheidungen zuständig. So sagt es zumindest die Gemeindeordnung.
Kaum zu glauben, aber Sie alle sind herzlich eingeladen
Die Sitzung des Stadtrates ist öffentlich. Der Besuch ist also ein triftiger Grund die Wohnung zu verlassen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er hier teilnehmen will.
In Elsenfeld gab es gestern eine Ratssitzung mit einer umstrittenen Tagesordnung. Lt. einem Facebookeintrag waren tatsächlich neben den 20 Ratsmitgliedern 70 Zuschauer anwesend. Wow. Eine Großveranstaltung kann das nicht gewesen sein, denn die sind ja bis 31. August verboten.
Ich finde das komplett unverantwortlich und bin gespannt, wie viele Besucher in Miltenberg erscheinen.
Angesichts der rigiden Handhabung der Kontaktsperre bei uns Bürgern ist das alles auch irgendwie befremdlich. Vorbildverhalten von staatlichen Stellen sollte jedenfalls anders aussehen.